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Intensive und extensive Beschäftigung mit Lektüre: Avengers 142

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Im 18. Jahrhundert änderte sich auch das Leseverhalten in Westeuropa, soweit ich weiß. Davor lasen viele Leute nur wenige Werke, oft erbauliche, und vor allem die Bibel; diese wenigen Werke dafür aber um so gründlicher: intensive Lektüre. Mit wachsender Alphabetisierung, mit der schnell wachsenden Popularität von Romanen las man danach viel und schnell und gierte nach Fortsetzungen und neuen Romanen: extensive Lektüre.

In meiner Kindheit und Jugend las ich viel, und wenn ich auch immer wieder zu bewährten Lieblingstexten griff und diese wieder und wieder las, intensiv, dann insgesamt doch wahrscheinlich extensiv, stets auf der Suche nache Neuem. Bei Musik und sogar bei Film war das teilweise anders. Da hörte ich ein Lied, eine Platte dutzendfach hintereinander an, schrieb die Liedtexte mühsam heraus und kaute so auf jedem Wort herum. Das war eine intensive Beschäftigung damit, bei der ich viel gelernt habe. Auch die Kindheitskassetten mit Hörspielen wurden wieder und wieder zum Einschlafen gehört, allein schon, weil es nicht so viele davon gab. Und da schon seit früher Kindheit – wir reden von den späten 1970er Jahren, meine Damen und Herren – ein Videorekorder im Haus war, gab es auch Filme, die ich immer wieder ansah. Es war eben keine enorm große Anzahl an Filmen. Auch dabei habe ich viel gelernt.

Und dann waren da meine Marvel-Superheldencomics. Sind 100 Hefte Fortsetzungsgeschichte, bei denen doch immer wieder das gleicher geschieht, nur scheinbar anders, eigentlich ein Text – intensive Lektüre – oder verschiedene – extensive? So oder so, ich habe intensiv gelesen, alle Hefte mehrfach, allein schon, weil ich das gemeinsame Universum nicht gut genug kannte und erst mal alle Zusammenhänge verstehen wollte.

Ein besonderer Fall war meine spärliche Sammlung originaler US-Hefte, ein paar aus dem Urlaub, ein paar von Flohmärkten. Die habe ich wieder und wieder gelesen, vor allem wieder, weil ich nur wenige davon hatte. Außerdem kannte ich viele Wörter nicht und suchte sie zu erschließen. Vor allem war es aber so, dass viele dieser amerikanischen Originalhefte, auch wenn sie teilweise älter waren als meine deutschen Hefte, in deren fiktionaler Zukunft spielten – Die Rächer waren in Deutschland 1978 mit der Entsprechung zu Heft Nr. 101 eingestellt worden, und das amerikanische Heft Avengers 142 aus dem Jahr 1975, lange Zeit mein einziges altes US-Avengers-Heft, war gleichzeitig Zukunft und Vergangenheit. Was mochte inzwischen, also seit Heft 101, passiert sein?

Avengers 142 ist obendrein eine Zeitreisegeschichte. Ein paar der Avengers sind in der US-Vergangenheit im Wilden Westen und treffen dort auf Kid Colt, the Two-Gun Kid, the Ringo Kid und natürlich Rawhide Kid und Night Rider (vormals Ghost Rider, nachmals Phantom Rider; lange Geschichte). Und diese Western-Helden kannte ich zum Teil schon! Neue Wörter, die mir in diesem Heft begegneten und an denen ich lernte: Owlhoots, savvy, ethereal, palooka, butte, throttle, polecat, pardner, fancy. Wobei fancy, das begegnete mir in der Zeit immer wieder, auch in sichtlich unterschiedlichen grammatischen Kategorien. – Geübt auch, aber wohl nicht neu gelernt: “thou”, “he standeth” und andere ältere Formen, wie Thor sie gerne benutzt, darunter auch “enow” statt “enough”. Shakespeare im Leistungskurs Englisch ein paar Jahre später war dann kein Problem. – Aber wer war diese komische kahlköpfige Frau, die ich nur von einem Quartett her kannte?

Der zweite Teil der Handlung betraf die Gegenwart, auch die für mich verrätselt bekannt-unbekannt, vergangen-zukünftig: Die Squadron Supreme hatten die Rächer gefangen genommen, unter Mitwirkung der bösen Roxxon Corporation, deren Name mir schon mal begegnet war. Die Squadron Supreme waren Superhelden aus einer Parallelwelt, sehr an die Gerechtigkeitsliga von DC angelehnt, entstanden aus einem inoffiziellen Crossover. Davor (Publikationsreihenfolge) bzw. danach (in-world) gab es allerdings die gleich aussehende Squadron Sinister, lange Geschichte, hat etwas mit Parallelwelten zu tun. Schuld am aktuellen Schurkentum der an sich guten Squadron war wieder einmal die Serpent Crown, auch das eine lange Geschichte, deren Fährte ich zum ersten Mal in den ganz alten Hit-Comics aufgenommen hatte.

Gezeichnet war das alles übrigens von einem jungen George Pérez, leider nicht besonders gut getuscht von Vince Colletta. Aber die Layouts von Pérez erkenne ich sofort wieder, jetzt, wo ich jüngere Werke von ihm kenne.

Hier wird das Heft besprochen: http://marveluniversity.blogspot.com/2015/04/december-1975-part-one-long-awaited.html

Exkurs: Western-Helden

Im Golden Age der spätern 1930er und 1940er Jahre gab es viele Superhelden-Comics. In den 1950er Jahren waren sie suspekt geworden. Anders als die Horror-Comics, mit denen zusammen sie verfolgt wurden, starben sie nicht ganz aus, aber die Verlage setzten in dieser Phase auf Comics mit Liebesgeschichten oder Western. Und diese Westernhelden überlebten bis weit in das Silver Age, wie die Renaissance der Superhelden mit dem Aufstieg der Marvel-Comics auch heißt – teils mit neuen Geschichten, teils mit Nachdrucken. Zu den bekanntesten gehörten: Kid Colt, Rawhide Kid, Two-Gun Kid, Ringo Kid. Dabei waren Kid Colt und Ringo Kid für mich stets austauschbar, hatten keine Eigenschaften, die ich mir gemerkt hätte; Two-Gun Kid hatte immerhin eine kleine Maske und eine Geheimidentität, fast wie der Lone Ranger. Die einzige Figur, die anders war als die anderen, war Rawhide Kid.

Warum eigentlich? Es muss die spezielle Lederkluft gewesen sein. Keine Maske, aber trotzdem nicht so gar cowboyhaft wie die anderen. An die Geschichten mit Rawhide Kid, die ich gelesen habe, kann ich mich nämlich gar nicht erinnern. Sie werden nicht gar so anders gewesen sein? – Er wurde immer wieder mal aus der Klamottenkiste geholt, 2003 in einer allerdings nicht besonders guten Miniserie als schwul inszeniert. Seitdem taucht er immer mal wieder auf.


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